Nicoffeine – Lighthealer Stalking Flashplayer
Es folgt der Presseservice.
Pro: Dieses Album ist liebenswert aufgrund seiner fehlenden Kompromissbereitschaft.
Contra: Dieses Machwerk ist ungefähr so nützlich wie ein Echo in deinem Sarg.
Gern geschehen.
Und jetzt zum Ernst der Veranstaltung.
Der Unterschied zwischen weißem Rauschen und Musik ist im Falle von Nicoffeine wesentlich geringer als – sagen wir mal – bei Supertramp. Oder Popmusik im Allgemeinen. Oder im Speziellen: Indie-Rock. Dieses Wort bitte genau an dieser Stelle komplett und unwiederbringlich vergessen! Die nächsten Zeilen, diese radebrecherischen Versuche, „Lighthealer Stalking Flashplayer“ an einer Wortkette aufzureihen, haben nichts, aber auch verdammt nochmal gar nichts zu tun mit Indie-Rock. Vergessen? Gut.
Die Geschwindigkeit, mit der Nicoffeine dem Kosmos greifbarer Kategorien entflieht, ist atemberaubend. Getrieben von Impulsen, dem Drang nach vorne und einer klaren Vorstellung vom entschieden Anderen.
Den Piloten, Guido Lucas, Jörg Schneider und Soheyl Nassary, würde man im echten Leben nicht für eine Minute den Steuerknüppel überlassen. Zu abgründig, zu fordernd scheint der Kurs, auf dem sie in die Sonne stürzen. Ein kosmischer Trip, der im Wortsinne zu den Roots des Krautrock zeigt, die hier mehr als durchscheinen. Amon Düül II und Can hätten ihre Freude dran. Wenn sie unsere Zeit verstünden. Und den Krach ertragen könnten.
Nicoffeine 2010 wurzelt in Vorstellungen von musikalischer Entäußerung, der hypnotischen Sogwirkung von sich frei entfaltenden Patterns und Clustern. Zelebriert wird das Ganze mit den Mitteln von heute, der verzerrten Lautstärke der Welt jenseits des Milleniums und der oftmals abstoßend anonymen Ästhetik des Popzeitalters.
Ihr Sound ist brutal, magnetisch und schroff, nie anbiedernd oder offensichtlich melodiös. Kompromisslos für die einen, unhörbar für die anderen. Polarisierung durch Musik – und das 2010? Ob sowas überhaupt noch geht? Ob dieses Album, dieser Frontalangriff auf die von Kaffee gestressten Synapsen, dieses erneut schadenfroh auf den Gräbern der Shoegazing-Generation tanzende Soundkompendium aus dem Hause blunoise, so etwas wie Öffentlichkeit erhält, liegt an der viel beschworenen Offenheit der Medien-Welt 2.0. Zyniker zweifeln jetzt schon. Aber denen gehört angesichts zusammenbrechender Wertsysteme ohnehin die Zukunft.
Carsten Sandkämper | 2011
Nicoffeine – Lighthealer Stalking Flashplayer
Von allen Seiten her schreit die Musik auf uns ein: „Wähle mich als das Artefakt Deines Lifestyles, denn siehe: ich spiegele Deinen Hass und Deine Verlorenheit; wähle mich, denn ich walle manche Strecke, um Dir das Wasser für Dein Sentimentalitäts-Bad herbeizutragen; wähle mich, denn ich spiegele Deine Geilheit und Deinen Größenwahn; wähle mich, denn Du hältst Dich für verrückt und ich bin schon sehr „krank“; wähle mich, denn ich bin genauso intellektuell wie Du; wähle mich, denn ohne mich bist Du nicht fit genug for fun.
Auch einige Vertreter des sogenannten Noise Rocks, bzw. der Avantgarde machen Musik, die uns geflissentlich zuruft und uns freundlicherweise dabei unterstützten möchte, uns in unserer selbstgewählten Verortung sicher zu fühlen.
Nicoffeine gehören zu der überschaubaren Fraktion der Noise – Avantgarde – Musiker, die Musik spielen, die uns nicht direkt zu labert – und ich meine hier natürlich nicht die Tatsache, dass bei Nicoffeine Gesang nur sehr dezent; quasi als Werkzeug Einsatz findet, sondern das Gefühl, dass man als Hörer nicht auf Teufel komm raus eingeladen ist. Man muss schon selber hingehen.
Frage: „Und was erwartet mich, wenn ich da hingehe?“ Antwort: „Keine Ahnung.“ Vielleicht ein energischer Ausraster, vielleicht Kopfweh, vielleichtVerständnislosigkeit. Vielleicht ein Spiegel, der nicht im Bekleidungs-Haus hängt und Dir zeigt, was Du sehen willst, sondern der Dir alles zeigt, was da ist. Eventuell zeigt er Dir, dass Du doch gar nicht so hart und krank und durchaus harmoniesüchtig bist, wenn eine schreiende Gitarre plötzlich in eineMelodie umkippt. Eventuell zeigt er Dir das Gegenteil.
Bereits seit 1998 – damals noch unter dem Namen Midian - verfolgen Nicoffeine ihren Kurs, der über die Jahre hin immer konsequenter geworden ist. Kern der häufig wechselnden Besetzung waren Bassist Christian Jung, der jetzt allerdings mit seiner Band Corova eine andere Richtung eingeschlagen hat und natürlich Gitarrist und Sänger Soheyl Nassary, der von Beginn an für die Musik und auch sämtliche grafischen Aspekte der Band verantwortlich war. Zurzeit bestehen Nicoffeine neben Nassary aus bluNoise Mann Guido Lucas (Les Hommes Qui Wear Espandrillos, Lude, Scumbucket, Genepool, KEN, Tomzack usw.) und dem fleischgewordenen Gewitter Jörg A. Schneider (Les Hommes Qui Wear Espandrillos, Lude, Sun, Fischessen, Tarngo usw.) am Schlagzeug.
Marcel Von Der Weiden | 2011
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